Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen und Anstrengungen. Vor allem die Effizienzsteigerung im Gebäudebereich ist eines der ganz großen Probleme die es zu lösen gilt. Einer der Kämpfer an vorderster Front für energiesparende Gebäude ist Ing. Günter Lang vom Experten-Netzwerk Passivhaus Austria. Wir haben ihn zur Geschichte des Passivhauses und über sein persönliches Wirken befragt.
Kannst du uns kurz erzählen, wann und wie du zum Thema Passivhaus gekommen bist und warum das Konzept für dich persönlich so faszinierend ist?
Ich hab mich seit 1985 intensiv mit Energie sparen beschäftigt und war dann 1997 bei der Tagung “Energieeffizientes Bauen” am Bodensee. Es gab damals auch eine Exkursion zu den ersten drei Passivhäusern in Österreich. Damals wurde für mich klar, wenn ich einmal bauen werde, dann nur in diesem Standard. Das Konzept war so einfach, klar, logisch und nachvollziehbar – für mich fühlte es sich an, als wäre ich neu geboren. Ein Jahr später, 1998 war es dann schon so weit, und wir haben mit der Planung unseres eigenen Hauses begonnen. Gemeinsam mit Architekt Hermann Kaufmann wurde es geplant und wir bauten das erste zertifizierte Passivhaus in Österreich. Ich hab auch von Planungsbeginn an folgendes festgelegt: Ich möchte das bestmögliche Haus bauen, aber zu denselben Kosten wie für den damaligen Mindeststandard notwendig gewesen wäre. Wir haben uns dann ein Jahr Planungszeit genommen, um jedes Detail zu optimieren. Der Clou beim Passivhaus ist, wenn man sich auf die Gebäudehülle konzentriert und wirklich das Bestmögliche macht (nicht kleckern sondern klotzen), senkt man damit den Energieverbrauch schon einmal drastisch. Dann kann man auf der anderen Seite die Haustechnik wirklich auf ein Mindestmaß reduzieren und damit wieder massiv Kosten einsparen. In unserem Haus brauchen wir auch nur ein halbes Prozent der Nutzfläche für Haustechnik. Das Passivhaus ist ja in Wirklichkeit kein High-Tech Gebäude sondern es funktioniert auch in Low-Tech-Bauweise. Genau das hat mich persönlich von Anfang an angesprochen, weil ich ja nicht so der Technikfreak bin.
Ich hab dann auch mein Haus zum Beruf gemacht, weil erst mit dem Neubau und den gewonnenen Erfahrungen hatte ich letztendlich auch den Mut mich selbstständig zu machen. Gleich nach dem Schritt in die Selbstständigkeit haben wir dann die IG Passivhaus Oberösterreich aus der Taufe gehoben und anschließend die IG Passivhaus Österreich aufgebaut. Erst 2013 habe ich gemeinsam mit Wolfgang Feist und dem Passivhaus Institut das nun sehr erfolgreiche Netzwerk „Passivhaus Austria“ gegründet.
Du lebst ja selber in einem Passivhaus, was sind deiner Erfahrung nach die größten Benefits dieses Standards?
Zu Beginn des Baus stand für mich fast ausschließlich der Umweltschutz und die damit verbundene Energieeinsparung im Vordergrund. Im Rückblick auf die letzten 19 Jahre ist es allerdings Komfort, Komfort und nochmals Komfort. Energiesparen, geringe Betriebskosten und Umweltschutz sind für mich zum angenehmen Nebeneffekt geworden.
Was den Komfort betrifft, habe ich eine kleine Anekdote: Als unsere kleine Nichte, damals erst 4 Jahre alt, bei uns zu Besuch war, ist sie auf dem Fußboden (ohne Unterkellerung) gesessen, mit dem Rücken an einer Glasscheibe gelehnt und so hat sie seelenruhig eine halbe Stunde mit dem Gameboy gespielt. Draußen hatte es jedoch minus 18 Grad und sie hat es nichts davon gemerkt. Das zeigt auch einen großen Vorteil des Passivhauses: Man kann wirklich ganzjährig die gesamte Wohnfläche nutzen, auch wenn sie neben der Außenwand oder gar neben einem Fenster ist. Das ist bei einem konventionellen Gebäude, aufgrund der kälteren Außenflächen, nicht möglich.
Das Passivhaus gibt es nun schon seit gut 20 Jahren, was sind die größten Erfolge die es zu verzeichnen hat?
Das Passivhaus gibt es sogar schon 26 Jahre, damals in Darmstadt-Kranichstein von Dr. Wolfgang Feist entwickelt. Und vor über 40 Jahren wurde bereits in Kanada ein Gebäude in ähnlichem Standard gebaut. Es hat zwar keine so ausgeklügelte Lüftungstechnik wie wir sie heute nutzen, trotzdem ist es bis heute immer noch in Betrieb. Beide Pionierobjekte weisen bis zum heutigen Tag unverändert niedrigste Energieverbräuche wie auch Wartungskosten auf.
Heute ist der Passivhaus-Standard weltweit anerkannt und Österreich hat dabei eine führende Rolle, nicht zuletzt weil wir in Österreich die höchste Pro-Kopf-Dichte an Passivhäusern haben. Wir exportieren auch weltweit unser Passivhaus-Know-how sowie entsprechende Produkte und Dienstleistungen.
Als einen großen Erfolg sehe ich, dass wir nicht mehr nur auf dem Einfamilienhaus-Sektor beschränkt sind, sondern mittlerweile in viel größerem Umfang im großvolumigen Segment sehr erfolgreich sind. Das weltweit erste Hochhaus in Passivhaus-Standard, sowie ein Gefängnis, ein Obdachlosenheim und viele andere Beispiele zeugen davon.
Ein enormer Fortschritt ist, dass das Passivhaus leistbarer geworden ist. Die Kosten, die anfangs höher gelegen sind, sind heute mit dem konventionellen Bau ident.
Das sind schon einige Erfolge, die wir zu verzeichnen haben. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass der Passivhaus-Standard längst genereller Mindeststandard sein müsste. Einzelne Kommunen machen dies auch schon vor. Die Stadt Brüssel hat das Passivhaus zum Beispiel seit 1.1.2015 schon als Mindeststandard für Neubauten in der Bauordnung. Auch für Sanierungen gilt der Passivhaus-Standard + 20%. Wie man dort sehen konnte, ist der Bau ist nicht wie befürchtet zum Stillstand gekommen, sondern es hat sich sogar als großer Vorteil für Errichter und Nutzer herausgestellt. Auch Dublin und Luxemburg setzen den Passivhaus-Standard schon um. Sogar Moldawien, eines der ärmsten Länder in Europa, bekommt ab 1.1.2022 das Passivhaus als Mindeststandard in die Bauordnung.
In Österreich haben wir in vielen Bereichen eine Gegenentwicklung. Bei den letzten Novellierungen der Wohnbauförderung wurde der Mindeststandard in einigen Bundesländern nicht angehoben sondern an niedrigere Vorgaben der Bauordnung angeglichen und das alles nur wegen der Angst, es könnte zu wenig gefördert gebaut werden.
Trotzdem gibt es gute Beispiele in Österreich, wie z.B. die Neue Heimat Tirol, die seit 2009 schon 4.000 Wohneinheiten im Passivhaus-Standard errichtet hat. Auch die Innsbrucker Immobilien Gesellschaft, die OeAD-Wohnraumverwaltung, die MPREIS Supermärkte, die Explorer Hotelgruppe und die Morscher, Bau- & Projektmanagement haben sich alle dem Passivhaus-Standard verschrieben. So werden z.B. in Tirol schon 85 Prozent aller geförderten sozialen Wohnbauten in Passivhaus-Standard errichtet – und dies freiwillig!
Kannst du uns vielleicht kurz erklären, was der Nearly Zero Energy Building Standard ist und ob er etwas mit dem Passivhaus-Standard zu tun hat?
Die EU-Gebäude-Richtlinie hat 2010 das „Nearly Zero Energy Building“ beschlossen. Ab 2019 müssen alle öffentlichen und ab 2021 auch alle anderen Gebäude in ganz Europa danach errichtet werden. Die Krux an der Sache ist, dass jeder EU Staat selber definieren darf, was unter dem Begriff „Nearly Zero Energy Building“ zu verstehen ist. Im Deutschen lautet die sehr schlechte Übersetzung zum Beispiel Niedrigstenergiehaus. In Österreich ist die Definition überhaupt eine echte Lüge geworden: Das „Nearly Zero Energy Building“ wird hierzulande den 2,5-fachen Energieverbrauch eines Passivhauses haben dürfen. Damit fallen wir gemäß Analyse der EU-Kommission in Europa als ehemals führendes Land an vorletzte Stelle, knapp vor Rumänien, zurück. Gerade in der heutigen Zeit, wo wieder sehr viel mehr neu gebaut wird (rd. 60t Wohneinheiten pro Jahr), führt das dazu, dass der Energieverbrauch und die Emissionen wieder steigen.
Wir gehen hier in Österreich genau die entgegengesetzte Richtung zum Pariser Klimaschutzabkommen. Jenes anteilige CO2 Budget, welches uns zur Verfügung steht, um das 2 Grad Ziel zu erreichen, werden wir in Österreich in den nächsten 18 Jahre aufbrauchen, machen wir so weiter wie bisher. Wenn wir das viel sinnvollere Ziel von 1,5 Grad hernehmen und so weiter tun wie bisher, dann haben wir das CO2-Budget sogar in weniger als 5 Jahren aufgebraucht.
Das heißt, die kommende Regierung und sämtliche politische Entscheidungsträger sind zumindest moralisch dafür verantwortlich, wenn die nächsten Generationen oder eigentlich auch schon wir, vom Klima an die Wand gestellt werden. Wir machen uns schuldig, weil wir seit 1992 eigentlich wissen, was zu tun ist.
Du bist ja Leiter des Experten-Netzwerks „Passivhaus Austria“. Was habt ihr in nächster Zeit alles vor und wo werden eure Schwerpunkte liegen?
Das Netzwerk Passivhaus Austria ist das jüngste in der Szene, wir haben erst 4 Jahre hinter uns und sind in dieser Zeit stark gewachsen. Das Netzwerk umfasst mittlerweile 175 Unternehmen mit 26.000 innovativen Arbeitsplätzen und wir möchten möglichst bald die 200er Marke knacken. Ein breit aufgestelltes Netzwerk ist wichtig, um die Politik herauszufordern. Unser klares Ziel ist es, den Passivhaus-Standard zum Mindeststandard zu machen.
Der erste Schritt für ein energieeffizientes Gebäude ist immer richtig zu rechnen. Das ist eigentlich die einfachste Maßnahme und trotzdem wird sie am Seltensten gemacht. Vor allem deswegen, weil der Energieausweis vorgeschrieben ist, dessen Berechnungsmethode aber bei effizienten Häusern sehr ungenau wird. Wir wollen auch aufzeigen, dass ein Passivhaus unabhängig von der Bauweise möglich ist, egal ob in Massivbauweise oder Holzbauweise, mit klassischen Baustoffen genauso wie mit ressourcenschonenden nachwachsenden Baustoffen. Und es freut mich ganz besonders, dass wir jetzt auch Sonnenklee mit an Bord im Netzwerk Passivhaus Austria haben, denn die Strohdämmung ist ein hervorragendes Produkt und passt sehr gut in das Gesamtportfolio des Passivhauses hinein.
Der Anteil am weltweiten Energieverbrauch für Herstellung und Transport von Baustoffen liegt bei etwa 45 %. Wäre es nicht sinnvoll den Passivhaus-Standard in Richtung Herstellungsenergie von Gebäuden zu erweitern, oder gibt es diesbezüglich ohnehin schon Überlegungen?
Eigentlich nicht, weil das Thema so umfassend ist, das immer die Gefahr besteht, dass man sich verzettelt, wenn man versucht zu viel unterzubringen. Der Fokus des Passivhauses ist es die energetische Betrachtung des Betriebs vorzunehmen und da zu optimieren. Hier wollen wir möglichst breitenwirksam sein und dies auch mit allen Bauweisen ermöglichen.
Das Passivhaus steht allerdings nicht im Widerspruch zu den vielen anderen wichtigen Nachhaltigkeitsthemen. Das neueste PHPP-Berechnungstool hat zum Beispiel auch schon eine Erweiterung, die sich „Passivhaus District“ nennt. Damit kann man ganze Siedlungsgebiete inklusive der kompletten Energieinfrastruktur berechnen. Mobilität gehört genauso dazu wie Baumaterialien, graue Energie, und vieles mehr.
In unserer Passivhaus Datenbank haben wir österreichweit schon 927 Objekte dokumentiert, und von denen haben mehr als der Hälfte den Nachhaltigkeitsgedanken über den energetischen Zielen stehen. Diese Objekte wurden mit nachhaltigen Materialien errichtet und auch beim Betrieb hat man sich bei fast allen Objekten auf erneuerbare Energie fokussiert.
Dies macht sehr deutlich, dass den Bauherren von Passivhäusern überproportional zum Baustandard die umfassende Umsetzung der Nachhaltigkeitskriterien ein großes Anliegen ist.
Auch unsere neue Berechnungsmethode von Primärenergie bezieht sich schon auf das Szenario, dass Gebäude zu 100% mit erneuerbarer Energie versorgt werden.
Um nochmals auf die Frage bezüglich der grauen Energie zurückzukommen: Ich hab damals bei meinem eigenen Gebäude auch schon die Graue Energie berechnet, sogar zweimal, einmal nach der SIA und einmal nach der IBO Methode. Darüber hinaus habe ich sogar die chemischen Treibhausgase in die Bilanzierung mit reingenommen, was sonst praktisch fast nie gemacht wird. Das hat auch sehr interessante Ergebnisse gebracht: Bei der Grauen Energie war dabei meine Erkenntnis, dass alleine die Fundamentplatte genau so viel nicht erneuerbare Primärenergie benötigte, als das gesamte restliche Gebäude und das obwohl ich 53 cm Dämmung habe. Natürlich gibt es zwischen den einzelnen Baumaterialien Unterschiede, die durch aus vakant sind. Wir dürfen dabei aber nicht die Gesamtbetrachtung aus dem Auge verlieren. Beton und die Massivbaustoffe haben mit Abstand den größten Anteil an grauer Energie, darüber wird oft gar nicht gesprochen. Die „Nicht-Dämmer-Fraktion“ fokussiert sich dann oft nur auf die Dämmstoffe und argumentiert damit gegen eine ausreichende Dämmung. Deswegen bin ich bei dem Thema immer vorsichtig und versuche es mit Augenmaß zu betreiben. Wiewohl sehe ich mit der Strohdämmung enorme Potentiale und eine große Chance wirklich nachhaltig zu bauen. Als sehr positives Beispiel könnten wir die Slowakei hernehmen. Dort wurden von den mittlerweile über 100 Passivhäusern, schon 80% mit Strohdämmung gebaut.
Das Passivhaus bietet ja nicht nur der Schutz gegen Kälte, sondern auch gegen sommerliche Überhitzung. Was kannst du uns dazu mitgeben?
Ja der Schutz gegen Hitze ist ein sehr wichtiges Thema und dazu fallen mir gleich zwei Beispiele ein: Malta und Griechenland. Als ich dort jeweils bei den ersten Passivhaustagungen war, habe ich mich vorher schlau gemacht. Ich war dann schockiert, dass sie eine höhere CO2 Belastung durchs Heizen haben als wir in Österreich. Wie kann das sein? Weil die Winter dort viel milder sind gibt es dort ja praktisch keine Heizung und in den paar Monaten wird dann die Klimaanlage im Winter einfach als elektrische Heizung verwendet. Auf Malta zum Beispiel, wird das einzige Kraftwerk mit Schweröl betrieben und damit sind die CO2 Emissionen sehr hoch. In Griechenland ist es ähnlich, da hat man mit Beginn der Krise angefangen mit Holz zu heizen, anstelle es als Baustoff zu verwenden. Bei geringem Waldanteil und nicht nachhaltiger Forstwirtschaft führt das schnell zu Verknappung der Ressourcen. Mit nachwachsenden Rohstoffen muss man sorgsam umgehen und es ist natürlich weit nachhaltiger, damit effiziente Passivhäuser zu bauen, die noch dazu sehr gut vor Hitze schützen, als sie thermisch zu verwerten.
Wo siehst du das Passivhaus in 10 Jahren?
Auf jeden Fall als weltweiten Mindeststandard in der Bauordnung und alle werden sich wundern, warum dies so lange gedauert hat. In Wirklichkeit ist das kein unrealistisches Ziel. Wenn wir global die Klima Herausforderungen betrachten, ist es nicht 5 vor 12 sondern es ist bereits 12! Wir reden schon alle nur mehr von Anpassung an den Klimawandel, das heißt wir haben schon kapiert, dass der Klimawandel voll im Gang ist, setzen aber immer noch nicht die notwendigen Maßnahmen um ihn einzubremsen.
Im Gebäudesektor, der für 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, können wir viel zur Eindämmung beitragen. Mit dem Passivhaus-Standard und noch mehr in Kombination mit nachhaltigen Materialien.
Weil wir durch den Passivhaus-Standard die Betriebsenergie stark senken, wird dann prozentual gesehen, die Graue Energie umso mehr. Deswegen ist es wichtig, auch darauf ein entsprechendes Augenmerk zu legen. Aber wie gesagt, die großen Brocken liegen in Beton und in den massiven Bauweise. Aber natürlich trägt jede einzelne Komponente bei und Stroh kann da durchaus noch eine erhebliche Reduktion erwirken.
Was möchtest du unseren Lesern sonst noch mitgeben?
Wir müssen einfach bei jedem Neubau und bei jeder Sanierung ab sofort den Energieverbrauch auf ein Mindestmaß reduzieren, um überhaupt irgendeine Chance zu haben bis 2050 CO2-neutral zu sein. Denn jedes Gebäude das heute neu gebaut oder saniert wird, bleibt bis ca. 2060 auf diesem Stand. Daher müssen wir es jetzt schon richtig machen.
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